bremer hörkino

Radio-Geschichten live erleben

Hörkino-Archiv 2006

Martina Keller
Martina Keller

Mittwoch, 1. Februar 2006

Pharmaindustrie und Selbsthilfegruppen

Eine fragwürdige Allianz

Martina Keller

Die Pharmaindustrie hat Selbsthilfegruppen für das Marketing entdeckt. Rund 70 000 Initiativen mit drei Millionen Mitgliedern gibt es in Deutschland. Sie besitzen ein für die Konzerne unschätzbares Kapital: ihre Glaubwürdigkeit. Die staatliche Unterstützung ist in den letzten Jahren zurückgegangen, den meisten Gruppen fehlt Geld. Unterstützung finden sie bei Pharmaunternehmen, die sie finanzieren und manipulieren. Von dieser Investition verspricht sich die Branche beträchtlichen Gewinn.
Gesponserte Selbsthilfegruppen werben auf ihren Websites für verschreibungspflichtige Medikamente – was für Pharmafirmen verboten ist – verbreiten Therapieempfehlungen und verschaffen den Unternehmen Zugang zu Patientengruppen für ihre Studien. Pharmanahe Brustkrebsinitiativen haben die öffentliche Meinungsführerschaft erobert. Selbsthilfegruppen sind so nützlich, dass die Industrie im Zweifel selber welche gründet, wenn es zu einem Krankheitsbild noch keine gibt.

Martina Keller
arbeitet als freie Wissenschaftsjournalistin in Hamburg, für Zeit, Brigitte, Geo Wissen und Öko-Test. Außerdem ist sie Radiojournalistin für die Hörfunksender der ARD.


Malte Jaspersen
Malte Jaspersen

Mittwoch, 1. März 2006

Jishin – Gespaltene Erde

Beobachtungen im Erdbebenland Japan

Malte Jaspersen

Empfohlene Notfallausrüstung: Trinkwasser und Proviant für mehrere
Tage, Taschenlampe, Batterien, Radio – Japan lebt mit
Erdbeben. Die meisten sind kaum spürbar, manche aber von zerstörerischer
Gewalt, so 1995 in Kobe und 2004 in der Präfektur
Niigata. Die Tsunami-Katastrophe zu Weihnachten 2004 löste auch
in Japan erhebliche Befürchtungen aus. Unter der Pazifikküste
schieben sich zwei Platten der Erdkruste unaufhaltsam ineinander.
Die aufgebaute Spannung wird sich, davon gehen Seismologen aus,
in einem Großbeben der Stärke 8 entladen. Erwartete Tsunami-Höhe: fünf bis acht Meter. Vorwarnzeit: etwa fünf Minuten. Direkt
über dem vermuteten Epizentrum tickt eine Zeitbombe, die fünf
Atomreaktoren von Hamaoka.
Der in Japan lebende Autor Malte Jaspersen beschäftigt sich (ganz eigennützig) mit der Frage, worauf er sich einzustellen habe, wenn sich die Erde unter seinen Füßen in Bewegung setzt. Er nimmt an Katastrophenschutzübungen in seiner Nachbarschaft teil, spricht mit Erdbebenopfern, Feuerwehrleuten, Seismologen.

Malte Jaspersen
begann seine Rundfunklaufbahn bei Radio Bremen. Er lebt seit 1989 in Japan, arbeitet für den Hörfunk der ARD und anderer Länder. Sein Feature »Jishin« erhielt beim Prix Italia 2005 den zweiten Platz. Zurzeit arbeitet er mit der japanischen Vokalistin Haco und dem amerikanischen Komponisten Carl Stone an einem Surround-Hörspiel für die Sender Rundfunk Berlin-Brandenburg und Radio Bremen.


Jens Jarisch
Jens Jarisch

Mittwoch, 5. April 2006

Die K

Szenen eines Drogenstrichs

Jens Jarisch

Zum Leben gehören auch einige dunkle, unverständliche und beunruhigende Seiten. Der Tod zählt dazu, und auch die K, die Kurfürstenstraße in Berlin. Eigentlich ist die K eine ganz normale Straße. Die Schülerin Katrin steht hier, weiß aber nicht, warum sie das tut. Der Verwaltungsangestellte Norbert fährt zur K, ohne zu ahnen, was er hier sucht. Manuela, arbeitslos, braucht 25 Euro. Der Baggerfahrer Horst ist hier, um seinem Hobby nachzugehen. Die Rentner Kalle und Heinz sind nur zum Gucken gekommen, obwohl es ja eigentlich gar nichts zu sehen gibt. Der Polizist Harry findet Spuren von Betäubungsmittelmissbrauch. Mahmud ist hier, um Drogen zu verkaufen, Sebastiano ist hier, um Drogen zu kaufen, von dem Geld, das Angie hier verdient. Die Schülerin Katrin fragt sich manchmal, warum sie auf dieser Straße steht. Doch die K ist keine Straße, sondern eine dunkle, unverständliche und beunruhigende Seite des Lebens.

Jens Jarisch
arbeitet als Autor, Regisseur und Produzent von Radio-Feature, Hörspielen und Soundstories. Neben anderen Auszeichnungen erhielt er für »Die K« den Åke-Blomström-Award der International Feature Conference und den Prix Europa für das beste europäische Radiofeature 2005.


Margot Overath
Margot Overath

Mittwoch, 3. Mai 2006

Wer war Gudrun Ensslin?

Ein Porträt

Margot Overath

Wer war Gudrun Ensslin? Geboren 1940 auf der Schwäbischen Alb als viertes von sieben Kindern einer evangelischen Pfarrersfamilie. Gestorben im »Deutschen Herbst« am 18. Oktober 1977 im Gefängnis Stuttgart-Stammheim unter Umständen, die noch heute viele Fragen aufwerfen – nicht nur für ihre Geschwister und Freunde. Sie war ein außergewöhnlicher Mensch. Mit zwei Leben, würde sie wohl sagen: einem Leben vor der Begegnung mit Andreas Baader und einem Leben mit der RAF, der Rote Armee Fraktion. Evangelische Jungscharführerin, Germanistikstudentin, junge Verlegerin bis 1970. Danach aktiv in der außerparlamentarischen Opposition, Kaufhausbrandstifterin und schließlich gesuchte Terroristin. Die einen schätzten Gudrun Ensslin als verbindlich, klug, freundlich und immer hilfsbereit. Sie konnte überzeugen und mitreißen. Für viele andere war sie dagegen nur eine gewissenlose Mörderin. Über Gudrun Ensslin sprechen in der Sendung ihre Geschwister, zwei Freunde und zwei ehemalige RAF-Mitglieder.

Margot Overath
lebt in Ritterhude, arbeitet als freie Autorin für alle Hörfunk-Anstalten der ARD und erhielt für ihre Sendungen den »zivis-Preis« und den »IFJ-Prize« der Internationalen Journalistenförderation. Sie forschte beim Hamburger Institut für Sozialforschung über die RAF.


Eduard Hoffmann
Eduard Hoffmann

Mittwoch, 7. Juni 2006

Der Ball ist bunt

Geschichte und Geschichten des Fußballspiels in Deutschland

Eduard Hoffmann und Jürgen Nendza

Fußball ist Konfession und Karneval, Stelldichein und Medien-Event. Quer durch alle Schichten ist dieser Sport längst zu einem Verständigungsmedium geworden. Das war nicht immer so. Als der Braunschweiger Turnlehrer Konrad Koch 1874 seine Schüler zwei »Gespielschaften« bilden ließ und mit einer lederummantelten Schweinsblase die Geburtsstunde des Fußballs in Deutschland einleitete, sahen sich die Kicker Hohn und Spott ausgesetzt. Es gab Strafbefehle gegen den öffentlichen Kick wegen »Missachtung der Sonntags- und Feiertagsheiligung«, und »Lustbarkeitssteuern« wurden verhängt.
Das Feature zeigt die schillernde Entwicklung des Fußballspiels in Deutschland: die »internationalistischen« Länderspiele der Arbeiternationalelf, Fußball in der NS-Zeit, das Frauenfußball-Verbot, die »Bunten Ligen«, das »Wunder von Bern«, die WM-Euphorie 2006.

Eduard Hoffmann
lebt in Aachen. Er studierte Germanistik und Publizistik und arbeitet als freier Radio-Journalist für den Hörfunk der ARD-Sender. Er schreibt für die Frankfurter Allgemeine und das Süddeutsche Magazin über Kultur, Sportgeschichte, Buntes.


Rosemarie Mieder und Gislinde Schwarz
Rosemarie Mieder und Gislinde Schwarz

Mittwoch, 6. September 2006

»Innerlich unerhört finde ich den Ort.«

Autistische Zwillinge – eine Annäherung

Rosemarie Mieder und Gislinde Schwarz

Als die Zwillinge Konstantin und Kornelius ein Jahr alt sind, plappern sie Mama, Papa, Ball und Auto – wie andere Kinder auch. In den nächsten Jahren aber kommt kein neues Wort dazu. Ihre Eltern befragen Spezialisten – ergebnislos. Die Diagnose »Autismus« stellt die Mutter – eine Kinderärztin – schließlich selbst. Und sie trifft eine Entscheidung: Die Kinder sollen nicht ängstlich behütet aufwachsen. Konstantin und Kornelius besuchen den Kindergarten, sie werden eingeschult. Die Jungen haben Glück: Ein offenes Elternhaus, interessierte Lehrer – und die in den USA entwickelte Methode des gestützten Schreiben ermöglichen es, das zu zeigen, was in ihnen steckt. Zu Tage kommt umfangreiches Wissen, vor allem ein erstaunliches Sprachgefühl. Die Zwillinge, die bis heute kaum sprechen, teilen sich der »Außenwelt« über Texte und Gedichte mit. Konstantin und Kornelius haben erfolgreich ihr Abitur gemacht.

»ungenanntes wort, sieh, wie ich mich quäle. leise schwirrend bist
du da, und ich fliege, fliege, freudig seufzend fliege ich dir nach.«
Konstantin

Rosemarie Mieder
geboren in Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz), studierte Journalistik. Sie war leitende Redakteurin der Zeitung eines Berliner Konfektionsbetriebes, seit 1990 freie Journalistin.

Gislinde Schwarz
geboren in Halle, studierte Journalistik, arbeitete als leitende Redakteurin bei der Frauenzeitschrift FÜR DICH, seit 1991 freie Journalistin.

Beide sind Autorinnen von Radio-Feature und Gerichtsreporterinnen, sie wurden mit dem Robert-Geisendörfer-Preis der Evangelischen Kirche ausgezeichnet. Für ihr Feature »Innerlich unerhört finde ich den Ort« erhielten sie den Ravensburger Medienpreis.


Detlef Michelers
Detlef Michelers

Mittwoch, 4. Oktober 2006

Papa holt Euch nach Hause!

Internationale Kindesentführung

Detlef Michelers

Mitte 1997. Nach achtjähriger Ehe trennen sich die 33-jährige Französin Cosette Lancelin und ihr 55-jähriger Ehemann, Armin Tiemann, Samtgemeindedirektor in Kirchdorf. Cosette Lancelin kehrt auf den Bauernhof ihrer Eltern in der Nähe von Blois an der Loire zurück, nimmt ihre Kinder ohne Zustimmung ihres Mannes mit.
April 1998. Armin Tiemann engagiert einen Sicherheitsdienst, lässt die Kinder in einer gewagten Aktion nach Deutschland bringen und erklärt die Kindesentführung zur »Rückführung«. Den Kampf um die Kinder trägt der Vater bis vor das Bundesverfassungsgericht. 1999 werden die Kinder der Mutter zugesprochen. Seitdem leben sie in Frankreich. Auch der letzte Versuch des Vaters, vor der Menschenrechtskommission in Straßburg zu klagen, scheitert. Ende 2000 wird die Ehe geschieden.
Drei Jahre lang verfolgte der Autor diese Entwicklung, sprach immer wieder mit den Eheleuten. Mit ihren Aussagen rekonstruieren sie nicht nur die Geschichte ihrer Beziehung, sondern machen auch die juristischen Hintergründe und Mängel des europäischen Rechts deutlich.

Detlef Michelers
lebt heute als freier Autor in Bremen und Berlin. Er verfasst Radio-Feature, Erzählungen, dokumentarische Literatur, Krimistories und Hörspiele. Seine Feature wurden mehrfach ausgezeichnet. Für das Feature »Papa holt euch nach Hause« erhielt er den internationalen Hörfunkpreis Premios Ondas.


Rainer Kahrs
Rainer Kahrs

Mittwoch, 1. November 2006

Das Schiff ist ein verschwiegener Ort.

Blinde Passagiere. Der Fall »Maersk Dubai«

Rainer Kahrs

Der junge taiwanesische Kapitän Cheng Shiou steht schon weit oben auf der Karriereleiter. Gerade 34 Jahre alt, bekommt er von seiner Reederei die Befehlsgewalt auf der »Maersk Dubai«, einem Containerriesen.
Kaum ist Cheng Shiou Kapitän auf dem Pott, hat er ein Problem: Im spanischen Hafen Algeciras schlichen sich zwei blinde Passagiere an Bord. Das gibt Ärger mit Reederei und Hafenbehörden, er muss die blinden Passagiere deklarieren, das kostet Strafe, Zeit und vielleicht einen Knick in seiner makellosen Karriere.
Cheng Shiou und seine Offiziere, alles Taiwanesen, zwingen die beiden blinden Passagiere in den kalten März-Atlantik zu springen. Überlebenschance: keine. Die philippinische Mannschaft, die alles gesehen hat, verdonnert der Kapitän zum Schweigen. Als sich erneut zwei blinde Passagiere an Bord schleichen, fliegt der eine ins Meer, der andere wird heimlich versteckt von der aufmüpfigen Mannschaft. Und als das Schiff im kanadischen Halifax ankommt, stürmt die Polizei die »Maersk Dubai« mit Waffengewalt.

Rainer Kahrs
ist Fernseh- und Hörfunkjournalist und lebt in Bremen. Er ist Redaktionsmitglied bei buten un binnen. Besondere Vorliebe: intensive Recherche-Themen und Feature über Rüstungsgeschäfte, indonesische Politikerkarrieren oder über Wachkoma-Patienten in Deutschland.


Anja Kempe
Anja Kempe

Mittwoch, 6. Dezember 2006

Hasso, der schicke Flottillenadmiral

Die erstaunliche Zunahme der Liebe zum Tier

Anja Kempe

Der Rapstar DMX lässt seinen Pitbulls warme Mäntel im Military-Look nähen: »Ich mag Hunde viel lieber als Leute! Yeah!« Ein Tierfreund schwört auf Rollstühle für altersschwache Hunde und Katzen. Eine Single-Frau ist überzeugt: »Bevor ich mir noch mal einen Mann anschaffe, schaff’ ich mir lieber noch einen Hund an.«  Längst sind die Supermarkt-Regale für Tierfutter größer als die für Babynahrung. Der Industrieverband für Heimtierbedarf meldet ein Umsatzvolumen 2,9 Milliarden Euro im Jahr. Und in Berlin wurde das größte und nobelste Tierheim der Welt gebaut, eine Luxusherberge mit Sonnenterrassen und Fußbodenheizungen für 36,3 Millionen Euro, ohne einen Cent vom Staat, nur von Spendengeldern.
Deutschland liebt Tiere, schaut am liebsten Tierfilme, wählt bevorzugt tierliebe Politiker und gibt den letzten Euro für den Tierschutz her. Laut Umfrage halten die meisten Menschen Tierquälerei für ein größeres Verbrechen als Kindesmisshandlung. Das Tier – des deutschen liebstes Kind?

Anja Kempe
geboren in Bremerhaven, studierte Politik und Germanistik. Sie lebt als freie Autorin in Köln und arbeitet für Hörfunk und TV.