bremer hörkino

Radio-Geschichten live erleben

Claas Christophersen und Norbert Zeeb

So, 05.03.2017

„Unsere Interviewpartner haben viel riskiert“

Wie Unternehmen Betriebsräte mobben und Rechte von Arbeitnehmern demontieren

Ein Gespräch mit Claas Christophersen und Norbert Zeeb. Die beiden Autoren erhalten für Ihr Stück „Dein Feind, Dein Mitarbeiter“ am 5.April 2017 den Feature-Debütpreis des Bremer Hörkinos.

Sie haben zum ersten Mal ein Feature produziert. Was war anders, im Unterschied zu den kürzeren Radio-Formaten, für die Sie sonst unterwegs sind?

Zeeb: Bereits die Vorbereitung war speziell. Das Feature bietet ja deutlich mehr Tiefe, mehr Raum, den wir ausschöpfen wollten. Wir haben viele Feature gehört, die wir besonders gelungen fanden. Wir haben ein spannendes Feature-Seminar der Autoren Walter Filz und Michael Lissek besucht. Wir haben auch unsere Technik aufgerüstet und Aufnahmeequipment gekauft. Also, wir wollten die Gelegenheit auskosten, viel ausprobieren und das Beste herausholen.

Christophersen: Die Interviews mit unseren Protagonisten waren deutlich länger als bei kürzeren Beiträgen. Das war bei unserem Thema notwendig, alleine schon, um Vertrauen aufzubauen. Dadurch, dass die Interviewpartner über die Vorgänge in ihren Betrieben und das, was ihnen widerfahren ist, öffentlich gesprochen haben, haben sie ja viel riskiert. Und das finde ich sehr mutig. Für uns war neu, dass die ästhetische Dimension, dass Inszenierungsfragen wichtiger waren. Also, wie „bauen“ wir kleine Szenen ein, um die Hörer wirklich ins Geschehen hineinzuziehen? Da musste uns unsere Redakteurin ein bisschen anstupsen, damit wir uns trauen, einen freieren Umgang mit O-Tönen und Dokumenten zu wagen. Und ganz praktisch bestand ein großer Unterschied zu unserer bisherigen Arbeit darin, dass wir den Beitrag nicht selbst produziert, sondern das Manuskript aus der Hand gegeben haben. Dafür wurde es dann auch deutlich aufwändiger und besser produziert.

Wieso haben Sie sich an die lange Form gemacht?

Zeeb: Wir hatten natürlich einige sehr schöne Feature anderer Autoren im Kopf und unsere eigenen Vorstellungen dazu, wie wir selbst darangehen würden, hatten aber länger kein geeignetes Thema. Dann fiel Claas eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung über Gewerkschaftsbekämpfung auf, die uns neugierig machte. Wir wollten wissen, nach welchen Mustern es abläuft, wenn sich Arbeitgeber entschlossen haben, die Mitbestimmungsrechte auszuhebeln. Wenn Sie versuchen, gewerkschaftlich organisierte Mitarbeiter und gewerkschaftsnahe Betriebsräte auf rabiate Weise loszuwerden. Wir wollten es aber nicht bei einer Dokumentation einiger bizarrer Fälle belassen. Wir wollten möglichst nah an die Betroffenen dran. Wir wollten spürbar machen, was mit ihnen geschieht, so dass in den Köpfen der Hörerinnen und Hörer Bilder, Szenarien, Fragen entstehen können. Also, das war jedenfalls der Anspruch. Dafür bietet ein Feature eher den Raum als kürzere Spielarten.

Christophersen: Als mir diese Studie in die Hände fiel, von der Norbert gerade erzählt hat, dachte ich sofort, dass das wirklich etwas für ein Stunden-Format wäre. Denn da kann man ein brisantes soziales, auch politisches Thema verknüpfen und mit Einzelfällen verknüpfen: Was sind Schutzrechte für engagierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Praxis wirklich wert? Sehr gut war, dass wir mit Alexander Schumacher einen Regisseur hatten, der unser Manuskript überhaupt erst zum Klingen gebracht hat. So hätten wir das selbst gar nicht produzieren können.

Ist es auch eine Typ-Sache, ob man eher für die lange, komplexe Recherche brennt, oder für das Arbeiten auf Tempo, kurz und schnell?

Zeeb: Ich glaube nicht. Ich gehe davon aus, dass sich die meisten Autoren eher mit Arbeiten identifizieren können, die nicht ganz so hektisch gestrickt sind, mehr Aufmerksamkeit erlangen und dann hoffentlich auch einen Tick mehr Substanz liefern. Andererseits können auch kleinere Beiträge anspruchsvoll und schön gemacht werden.

Christophersen: Ich finde beides gut. Das kurze Arbeiten unter Zeitdruck zwingt mich im besten Fall, mich auf das wirklich Wesentliche zu konzentrieren. Andererseits war die monatelange Recherche und Begleitung unserer Interviewpartner die Gelegenheit, einmal tief in Einzelfälle einzutauchen - und mehr Raum zum Auserzählen zu haben. Obwohl wir uns selbst in einem für Radio-Verhältnisse riesigen Format wie einem Feature noch begrenzen mussten. Warum Fälle der Betriebsrats-Zersetzung in Deutschland zugenommen haben - darüber haben wir am Ende in der Sendung nur ganz wenig erzählt, das hätte den persönlichen Geschichten Zeit geraubt. Bei jedem Wort-Beitrag im Radio ist es wichtig, stimmige erzählerische, dramaturgische Bögen zu spannen - zum Beispiel in unseren Beiträgen für ein Zeitgeschichte-Magazin, in denen wir aus der Perspektive eines vergangenen Ereignisses einen Blick auf heute werfen. So etwas finden wir beide sehr spannend.

Sie haben sich zu zweit zum ersten Mal an das Feature gewagt – da kann es schon Mal knirschen. Sind Sie noch Freunde?

Christophersen: Uns beiden war bewusst, dass ein langes Feature eine neue Herausforderung für uns als Autoren ist. Wir haben das nie offen thematisiert, wohl einfach, weil es klar war, dass wir nie an diese Aufgabe gegangen wären, wenn wir nicht gewusst hätten, dass wir gut harmonieren.

Zeeb: Ja, die Zusammenarbeit klappt bei uns einfach sehr, sehr gut. Dazu muss man wissen, dass wir schon sechs, sieben Jahre als Autorenteam unterwegs sind. Wir kennen uns ganz lange, haben beide Soziologie in Hamburg studiert. Damals arbeitete Claas bereits als Sprecher für den NDR, was er auch heute noch macht. Irgendwann haben wir dann angefangen, gemeinsam Ideen für Beiträge zu entwickeln, haben auch viele halbstündige Stücke gemeinsam verfasst, sind also einfach eingespielt.

Gab es Momente, in denen Sie dachten: „Das kriegen wir nicht bewältigt, wir könnten scheitern“?

Zeeb: Nein. Ich schätze, da hatten wir einfach schon genug Erfahrung gesammelt, die uns gezeigt hat, dass am Ende immer etwas herausbekommt, was dann schlimmstenfalls „solide“ ist, weil vielleicht das Material einfach nicht so großartig war wie erhofft.

Christophersen: Ich glaube, Scheitern war einfach keine Option. Wir waren sehr froh, dass der NDR dieses Thema in dieser großen Form mit uns machen wollte - und uns als bisher Feature-Unerfahrenen eine Chance gegeben hat. Was Inszenierungstipps, aber auch Fragetechnik angeht, war für mich sehr hilfreich, was wir im Seminar mit den beiden Feature-Großautoren Michael Lissek und Walter Filz gelernt haben. Unsere Redakteurin, Christiane Glas, hat uns sozusagen dazu verdonnert, da hinzugehen, und das war auch gut so. Angst hatte ich eher davor, dass das Feature wegen rechtlicher Bedenken gar nicht gesendet werden könnte, weil sich die Unternehmen, um die es ging, auf den Schlips getreten fühlen könnten. Wir sind da sehr behutsam und offen vorgegangen - mit Hilfestellungen der Redaktion und der erfahrenen Rechtsabteilung des NDR.

Hatten Sie manchmal beim Schreiben des Manuskriptes für Ihr erstes Feature das Gefühl: Wie kriegen wir all die wichtigen Informationen in das Stück?

Zeeb: Ich bin schon jemand, der sich da manchmal schwertut. Gerade bei unserem Feature-Thema, bei dem wir ja doch etliche Hintergrundinformationen brauchten, auch die Menschen zu Wort kommen zu lassen. Claas ist da aber jemand, der unfassbar geschickt verdichten kann. Und insofern ist das dann kein wirkliches Problem gewesen.

Christophersen: Sagen wir mal so: Ich neige manchmal dazu, einfach mal ein, zwei Sätze rauszuhauen, um schnell fertig zu sein. Norbert ist da viel gewissenhafter und fragt sich - und mich -, ob man dieses oder jenes wirklich so sagen könne, was dann wiederum mich zum Nachdenken bringt. In dem Feature zum Beispiel hat Norbert die Passagen unseres Hauptfalles geschrieben, und die sind einfach perfekt „gedrechselt“. So etwas braucht zwar seine Zeit, war am Ende aber tatsächlich gar nicht so schwierig.

Welche dramaturgischen Probleme tauchten während des Schreibens auf?

Zeeb: Wir hatten einfach sehr schönes Material, spannende Fälle, wir erzählen ja drei Geschichten. Diese Geschichten dramaturgisch ansprechend aufzubauen, war im Grunde nicht sonderlich schwierig. Diese drei Geschichten aber zu verknüpfen, das war schon ein wenig Arbeit. Da haben wir auch mehrmals umgestellt und verschiedene Variationen ausprobiert. Am Ende kam dafür viel Lob aus der Redaktion.

Christophersen: Wir haben schon beide ordentlich geschwitzt, als es darum ging, die drei Einzelfälle zu einem Ganzen zusammenzusetzen. Ich erinnere mich da an stundenlange gemeinsame Besprechungen mit chaotischen Notizen im Café. Am Ende musste es sogar eine zweite Manuskript-Version geben. Das war natürlich anstrengend, aber unsere Redakteurin Christiane Glas hatte mit ihrer Kritik Recht, wie sich dann herausgestellt hat.

Hatten Sie beim Schreiben eine klare Vorstellung, wie Ihr geschriebener Text gesprochen wird? Und von wem?

Zeeb: Wie die Sprecherin und die Sprecher klingen sollten, da hatten wir schon sehr genaue Vorstellungen und haben das Skript auch mit vielen Regieanweisungen gefüllt. Die Rolle des Detektivs - unser Protagonist Murat Günes wurde ja im Auftrag seines Arbeitgebers zeitweilig durch einen Detektiv ausgespäht - haben wir dann auch selbst übernommen. Claas und ich sind dafür mit einem Auto durch die Stadt gekurvt und haben die Verfolgungsszenen nachgestellt. Ich saß am Steuer, und Claas hat aus den Observationsprotokollen zitiert, was sehr witzig war, weil das natürlich total absurde Texte sind und Claas auch eine Weile brauchte, bis er den richtigen Ton fand. Unseren Erzähler, also den eigentlichen Autorentext, hat entweder Tilo Werner oder Hans Löw gesprochen. Aber wer es auch war, er hat die von uns erhoffte Haltung gefunden. Wie auch Beate Rysopp, die aus Gerichtsakten und den Stellungnahmen der Arbeitgeber zitiert. Auch in diesem Punkt hat Regisseur Alexander Schumacher die Sprecher sehr gut angeleitet. Die Auswahl der Sprecher hat unsere Redakteurin getroffen, die da einfach die nötige Erfahrung mitbringt.

Christophersen: Ja, auch die Leistung der Sprecher war bei dieser Produktion ein Glücksfall. Wenn wir nicht selbst produzieren, ist das Sache der Regie und der Redaktionen. Da kann es für zu sensible Autoren durchaus unangenehme Überraschungen geben. Im Fall unseres Features war es das genaue Gegenteil für mich: Ich war durch und durch positiv überrascht.

Was war das für ein Gefühl, als Sie das Feature dann an die Redaktion abgegeben hatten? Erleichterung? Bammel vor der Reaktion der NDR- Redakteurin?

Christophersen: Klar war ich nach der intensiven Arbeit am Manuskript zunächst erleichtert, erwartungsfroh und vielleicht auch ein wenig unsicher: Wie viel werden wir wohl ändern müssen? Aber gut war, dass es immerhin schon mal eine Arbeitsgrundlage gab.

Zeeb: Also, allzu großen Bammel hatten wir jedenfalls nicht. Wir hatten uns zwischendurch mehrfach mit Christiane Glas zusammengesetzt, und nach Abgabe der ersten Version kamen dann noch Änderungswünsche, sehr hilfreiche Anmerkungen und ein paar Tipps, die das Ganze auch nochmal beflügelt haben. Also, das war echt klasse, lehrreich und eigentlich so, wie man sich das als Autor erhofft.

Was bedeutet es für Sie, dass Sie den „Feature-Debütpreis Bremer Hörkino“ bekommen haben?

Christophersen: Ich habe mich über die Nachricht, dass wir den Preis bekommen werden, sehr gefreut. Es ist eine wunderbare Anerkennung unserer Arbeit, und davon war bei unserem ersten großen Feature überhaupt nicht auszugehen.

Zeeb: Ich finde es klasse, dass das Bremer Hörkino diese Arbeitet leistet und uns Autoren die Möglichkeit bietet, mit Feature-Interessierten in Kontakt zu kommen und unsere Stücke vor Publikum zu präsentieren. Der Preis ist eine sehr schöne Anerkennung. Mit einem Debütpreis zu starten, ist natürlich auch toll. Und: Der Feature-Preis des Bremer-Hörkinos ist auch in den Redaktionen sehr anerkannt, und das ist für unsere Arbeit als Autoren sehr wichtig und hilfreich.

Machen Sie weiter mit der langen Form – oder war es eine Erfahrung zum Abgewöhnen?

Zeeb: Also, als „Dein Feind, dein Mitarbeiter“ schließlich im Studio produziert wurde, war ich schon sehr, sehr gespannt. Und das Ergebnis hat meine Erwartungen an das Stück sogar übertroffen. Und ich glaube, Claas ging es da ähnlich. Also, wir werden definitiv weitere Feature verfassen und arbeiten bereits an unserem nächsten Stück.

Christophersen: Und schon deswegen - und umso mehr, als wir die Nachricht vom Bremer Hörkino-Debütpreis kam - haben wir erst richtig Blut geleckt. Momentan arbeiten wir wieder für NDR Info an einem Feature über den Bundestagswahlkampf, das dann im September kurz nach der Abstimmung gesendet werden soll - als eine Bilanz der etwas anderen Art. Ideen gibt es zuhauf. Ins konkrete Reifungsstadium hat es bisher aber nur ein - im weitesten Sinne - Kultur-Feature geschafft. Da feilen wir momentan am Konzept. Man sieht also: Es gibt noch genügend zu erzählen, und zwar überall in der Gesellschaft.

Über die Autoren
Claas Christophersen, studierte Soziologie, präsentiert Radio-Nachrichten beim NDR; produziert Radio-Reportagen und Hintergrundbeiträge; arbeitet als Sprecher und Dozent.
Norbert Zeeb studierte Soziologie und Politik, freier Radiojournalist, produziert Sendungen über Politik und Zeitgeschichte.

Wir laden ein zum 5. April 2017: Feature-Preis Bremer Hörkino
Wir feiern mit einer Laudation auf die Preisträger, mit Sekt und Selters, überreichen „Rüdi hört“, die wunderbare unperfekte Bronzeskulptur des Berliner Künstlers Zoppe Voskuhl. Zum 6. Mal verleihen wir den »Feature-Preis Bremer Hörkino«. In diesem Jahr wird mit dem Preis zum ersten Mal die Leistung für ein Debüt-Feature gewürdigt. Die Autoren Claas Christophersen und Norbert Zeeb stellen ihr Preisstück „Dein Feind, Dein Mitarbeiter – Strategische Kriegsführung im Betrieb“ vor.

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