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Polizeirevier Dessau, Wolfgangstr. - copyright Margot Overath
Dummy vor Brand - copyright Margot Overath
Dr. Kurt Zollinger, Brandsachverständiger & M. Overath - copyright Margot Overath
Prof. Gerold Kauert, Toxikologe - copyright Margot Overath

Sa, 04.08.2018

„Meine Hoffnung ist groß“

Wie geht es weiter im Fall Oury Jalloh?

2005 verbrannte Asylbewerber Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau. Ein Tod, dessen Umstände durch viele widersprüchliche Wahrheiten immer noch nicht bis zuletzt aufgeklärt sind. Margot Overath hat recherchiert, nicht locker gelassen und mehrfach darüber berichtet. Damit hatte sie auch erreicht, dass weiter aufgeklärt wurde. Die Ermittlungen wurden inzwischen eingestellt. Nun gibt es möglicherweise eine Wende.

Interview mit Margot Overath

Das Verfahren endete im Dezember 2012 mit einer Geldstrafe für den Dienstgruppenleiter der Dessauer Polizei, Andreas S., wegen Fahrlässiger Tötung, weil er angeblich Jallohs Suizid nicht verhindert habe. 2016 gab die Staatsanwaltschaft Dessau ein neues Brandgutachten in Auftrag. Wie ist der juristische Stand heute?

Die Auswertung des Brandversuchs vom August 2016 ergab, dass Oury Jalloh bei Brandausbruch schon handlungsunfähig war, sich also nicht selbst getötet haben konnte. Doch statt mit neuen Ermittlungen zu beginnen nahm der Generalstaatsanwalt von Sachsen-Anhalt der Staatsanwaltschaft Dessau das Verfahren weg und übergab es der Staatsanwaltschaft Halle. Die hat es nach kurzer Zeit eingestellt. Es gab dann eine Menge Proteste mit der Folge, dass der Generalstaatsanwalt ankündigte, persönlich prüfen zu wollen, wie weiter verfahren werden soll.

Die Möglichkeit eines Verbrechens steht weiter im Raum: Experten sprechen von einer traumatischen Einwirkung vor dem Tod. Was bedeutet das?

Oury Jalloh lebte noch, als das Feuer ausbrach. Das beweisen geringe Rußspuren in seinen Atemwegen. Andererseits hat er kein giftiges CO, also kein Brandgas, eingeatmet. Das bedeutet, er tat keinen bewussten Atemzug, sondern nur eine letzte sogenannte Schnappatmung im Zustand der Bewusstlosigkeit. Bewusstlos war er sehr wahrscheinlich deshalb, weil er schwer misshandelt worden war. Diese Tat könnte nur von Polizeibeamten begangen worden sein, denn kein Unbefugter kann den Gewahrsamsbereich betreten.

Medizinisch ist kaum nachzuweisen, ob Oury Jalloh selbst in der Lage war, den Brand zu legen. Das heißt, es muss kriminalistisch vorgegangen werden?

Jetzt muss kriminalistisch vorgegangen werden. Und das ist ja auch die Aufgabe der Justiz. Wenn jetzt wieder eingestellt werden sollte mit dem Argument, das kriegen wir sowieso nicht raus, die Polizisten haben von Anfang an gelogen und werden dies sicher weiter tun, wäre das eine schwere Niederlage für das Recht und ein Armutszeugnis für die Justiz. Es wäre auch ein Affront gegen Alle, die sich seit Jahren für die Aufklärung von Oury Jallohs Tod einsetzen und eine große Enttäuschung für die Familie des Opfers.

Wieso hat es so lange gedauert, bis Toxikologen offiziell Stellung genommen haben?

Weil es so lange gedauert hat, bis die Staatsanwaltschaft Dessau bereit war, sich von der Selbsttötungstheorie zu trennen. Schon während des Prozesses gegen Andreas S. wurde immer klarer, dass das Gericht von Polizeizeugen an der Nase herum geführt wird. Dreieinhalb Jahre nach dem Urteil ließ man endlich der Brand rekonstruieren, der Toxikologe Prof. Gerold Kauert war an der Auswertung beteiligt. Nachdem die Staatsanwaltschaft Halle das Ermittlungsverfahren eingestellt hatte, gab er mir ein Interview, weil er klarstellen wollte, dass die Einstellung falsch war.

Arbeitet der Dienstgruppenleiter Andreas S. weiterhin in Dessau?

Alle Beamten der Dienstschicht von Andreas S., in dessen Verantwortung Oury Jalloh ums Leben kam, wurden auf Außenstellen versetzt. Auch Andreas S. Ob er noch im Dienst ist, kann ich nicht sagen.

Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass nachgewiesen werden kann, ob es ein Suizid oder ein Verbrechen war?

Es kann kein Suizid gewesen sein, sagen die Wissenschaftler. Deshalb ist meine Hoffnung groß. Ob der Fall tatsächlich gelöst wird, ist aber abhängig vom Willen der Verantwortlichen in Politik und Justiz. Wenn sie die Aufklärung wollen, kann es ganz schnell gehen. Wenn nicht, werden zwei sogenannte Sonderermittler den Fall aufarbeiten und bestenfalls herausfinden, wie und von welchen Seilschaften die Aufklärung verhindert wurde.

Zur Person:

„Margot Overath demonstriert in dieser Funkarbeit erneut, wie sich Zivilcourage mit publizistischer Sorgfalt verträgt.“ So urteilte die Jury des Bremer-Hörkino-Preises über das Feature „Oury Jalloh – die widersprüchlichen Wahrheiten eines Todesfalls.“ Overath deckte darin Ungereimtheiten in den Ermittlungen zum Tod des Asylbewerber Oury Jalloh auf, der 2005 in einer Polizeizelle in Dessau verbrannte. 2016 erhielt die Autorin dafür auch den Axel-Eggebrecht-Preis der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig. „Sie hört hin, wo andere weghören“, so die Jury.

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