bremer hörkino

Radio-Geschichten live erleben

Beate Hoffmann, Charly Kowalczyk, Margot Overath, Frauke Schäfer
Preisträgerin Margot Overath mit der Skulptur - Rüdi hört, gestiftet von swb
Preisträgerin Margot Overath mit der Skulptur - Rüdi hört, gestiftet von swb
Hörkino-Initiatoren Beate Hoffmann und Charly Kowalczyk
Frauke Schaefer Jury-Mitglied
Jens Schellhass hält die Laudatio von Helmut Kopetzky
Jens Schellhass
Margot Overath, Charly Kowalczyk
Publikumsgespräch über das Preis-Feature über Oury Jalloh
Publikumsgespräch über das Preis-Feature über Oury Jalloh
Publikumsgespräch über das Preis-Feature über Oury Jalloh
Publikumsgespräch über das Preis-Feature über Oury Jalloh
Publikumsgespräch über das Preis-Feature über Oury Jalloh
Publikumsgespräch über das Preis-Feature über Oury Jalloh
Publikumsgespräch über das Preis-Feature über Oury Jalloh

So, 24.05.2015

"Rüdi hört": Journalistenpreis im Bremer Hörkino verliehen

Zivilcourage und publizistische Genauigkeit - Margot Overath erhielt den Feature-Preis Bremer Hörkino für ihr Feature über den Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh, der in Dessau in einer Polizeizelle verbrannte. Ein denkwürdiger Abend, mit einer Laudatio von Helmut Kopetzky. Hier gibt es Impressionen mit Fotos von Thomas Rammelt und einer Hör-Collage von Agnieszka Pröfrock.

Hörcollage von der Preisverleihung von Agnieszka Pröfrock:

JURY-BERICHT ZUR VERLEIHUNG DES BREMER FEATURE-PREISES AN MARGOT OVERRATH, 2015. Von Helmut Kopetzky

Liebe Freunde, Kollegen und Radio-Aficionados ! Liebe Margot Overath ! Liebe Mit-Jurorinnen Jutta Günther und Frauke Schäfer.

Leider verdammt mich ein Defekt meines 75 Jahre alten Laufwerks zu temporärem Stillstand, und ich muss meinen Eindruck von der Jurysitzung im Dezember heute Abend vorlesen lassen. Leo Braun, unser Berliner Feature-Papst, hätte von einem “starken Jahrgang” gesprochen und jede der acht eingereichten Arbeiten als “hochkarätig” bezeichnet. Ich schließe mich gern an und greife einige heraus.

In seinem ARD-Radiofeature “Fürsorgliche Gewalt” beschreibt Günter Beyer die “Abgründe häuslicher Pflege”, das heißt auch: die Überforderung im täglichen Umgang mit Angehörigen in deren letzter Lebensphase bis hin zur Tötung aus Mitleid oder nackter Verzweiflung. Im Hintergrund: Die drängende Problematik der alternden Gesellschaft.

Im Feature “Heilen macht krank” von Dorothea Brummerloh ist es der Arzt, der aus Überforderung zum Problemfall wird. Verwaltung und Bürokratie rauben ihm die Zeit, die er seinen Patienten widmen möchte. “Mediziner”, erfährt man an drastischen Beispielen, “leiden öfter an Depressionen und Suchterkrankungen als andere Berufsgruppen und begehen doppelt so häufig Selbstmord”.

Gaby Mayr erinnert in ihrem oppulenten Hörstück “Tuberkulose-Deals” an die Wiederkehr einer lange vernachlässigten Krankheit im südlichen Afrika und die ökonomische aber auch politische Dimension bei der Bekämpfung der sog. “Schwindsucht”.

Rainer Kahrs, der 2011 bereits für “Das Geheimnis des Waffenschiffs Faina” mit dem “Rüdi” ausgezeichnet wurde, erzählt in seinem ARD-Radiofeature “Herr der Schiffe” eine David-gegen-Goliath-Geschichte über den Aufstieg und Fall des Bremer Reeders Niels Stolberg und die trügerischen Verlockungen des globalen Casinos.

Auch Mechthild Müser hat bereits (vor zwei Jahren) diesen Feature-Preis erhalten. Diesmal bestieg sie – akustisch äußerst wirksam – ein hundert Meter hohes Windrad vor den Toren Bremens und warf unter dem Titel “Sonne, Wind und grüne Felder” ein Feature über die Energiewende in den Ring.

Sechs der acht Einreichungen behandeln Zeitthemen. Sie sind im weitesten Sinn politisch und allesamt bemüht, uns Hörern größere Zusammenhänge verständlich zu machen und emotional nahe zu bringen. Dieser Querschnitt erscheint mir für Tendenzen der gegenwärtigen Featureproduktion bezeichnend. Die ersten Exemplare des von der BBC “erfundenen” und mit Hilfe der britischen Besatzungsmacht 1945 nach Deutschland importierten Radiofachs waren ja Zeitstücke. Sie sollten den Deutschen, die nicht zuletzt per Rundfunk zwölf Jahre lang manipuliert und verdummt worden waren, kritisches Denken “anerziehen”. Re-Education nannten das die Sieger.

In den Featureprogrammen der folgenden Jahrzehnte wechselten mehrmals Phasen schmuckloser Sachinformation, weltanschaulicher Bekenntnisse (zumal in den Nach-68er Jahren) mit privater Nabelschau oder formalen Spielereien. Es kommt mir vor, als habe das heutige Feature zwischen den Extremen eine gewisse Balance gefunden. Auf der Strecke blieben leider weitgehend die Errungenschaften des sog. “Berliner akustischen Features” mit seiner kompositorischen Verbindung von Wort und Klang, Information und literarisch ausgefeilten Texten, die es von anderen Radiogattungen besonders abhob.

Nun also der zweite “Rüdi” für Margot Overath. Anfangs – das muss ich gestehen – herrschte ein gewisses Bauchgrimmen: Soll unter acht so starken Konkurrentinnen und Konkurrenten, denen die großohrige Trophäe ebenso zu Gesicht gestanden hätte, ausgerechnet jene Autorin triumphieren, die eine früher preisgekrönte Arbeit (“Verbrannt in Todeszelle Nr. 5”) über die Jahre fortgeschrieben hat ?

Darüber, dass “Oury Jalloh – Die widersprüchlichen Wahrheiten eines Todesfalls” preiswürdig sei, bestand kein Zweifel. Frauke Schäfer wird das in ihrer Laudatio noch näher begründen.

Die Jury wählte am Ende einstimmig dieses Stück und stellte zugleich eine professionelle Haltung heraus, die Angelsachsen “devotion” nennen – ohne den allzu pathetischen Beigeschmack des deutschen Worts “Hingabe”. Ja, Overath gibt sich ihren Themen hin. Sie scheut nicht die Kollision mit dem als sakrosankt empfundenen Berufsethos, das eine falsche “Objektivität” verlangt, hinter der Autoren ihren Standpunkt bequem verstecken können. Sie nimmt den Begriff des Bürgers, des Citoyen, für sich in Anspruch; betrachtet die aufgeheizte Das-Boot-ist-voll-Debatte über den Umgang mit Flüchtlingen in Deutschland als persönliche Herausforderung; überprüft freilich immer wieder die Argumente der “anderen Seite” mit der gleichen Sorgfalt wie ihre eigenen Erkenntnisse und Überzeugungen.

Die AUTORIN ALS BÜRGERIN ist mit diesem Preis ausgezeichnet worden – und zugleich die Gesamtheit ihrer journalistischen Arbeit, diese spezielle Overathsche Mischung aus Zivilcourage und publizistischer Genauigkeit.

Das Lob ihrer beruflichen Tugenden wertet die Leistung der anderen Sieben nicht im geringsten ab. In der stundenlangen Diskussion – hart, aber fair – schlug einfach die Nadel um das geringe Quantum zwischen Sieg und —— nein, nicht Niederlage aus. Sieger sind alle, die unser umkämpftes Radiofach hartnäckig weiter betreiben, nicht zuletzt auch die Freundinnen und Freunde des Bremer Hörkinos.

Ich beglückwünsche Margot Overath von ganzem Herzen und beneide Euch alle um diese Zusammenkunft !

Euer altgedienter Helmut Kopetzky

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