bremer hörkino

Radio-Geschichten live erleben

Der Feature-Preis Bremer Hörkino 2009

Tom Schimmeck

Tom Schimmeck: »Koma-Kicks« – Erkundungen über junge Kampftrinker

Zum zweiten Mal wurde der Feature-Preis Bremer Hörkino im April 2009 verliehen - pünktlich zum 5. Geburtstag des Hörkinos. Der »Feature-Preis bremer hörkino« wird gestiftet von swb und den Initiatoren des hörkinos, unterstützt von »Hörsturz« – Interessengemeinschaft für Bremer Radiokultur. Die unabhängige Jury 2009: Karin Beindorff, Feature-Redakteurin beim Deutschlandfunk in Köln, Peter Groth, Redakteur beim Weser Kurier, Bremer Tageszeitungen AG, Dr. Kai Schlüter, Redakteur bei Radio Bremen/NordwestRadio

Zum Inhalt des prämierten Features

Die einen wollen einfach ein bisschen erwachsen sein, dazugehören. Manche wollen Sorgen vergessen, und die meisten träumen davon, so richtig cool zu sein. Hoch die Tassen. Weitertrinken, Filmriss. Jedes Jahr trinken rund 750000 Menschen in Deutschland das erste Mal Alkohol. Und jeder fünfte 14-jährige Jugendliche greift einmal pro Woche zur Flasche. Für viele der Beginn einer Trinkerkarriere. Das Rauschtrinken, das »Koma- oder Flatrate-Saufen«, nimmt zu. Jugendalkoholismus findet kaum in Statistiken statt, aber er breitet sich aus. Tom Schimmeck zeigt in seinem Feature einen jugendlichen Alltag, der erschreckt, und fragt nach den Motiven. Im vergangenen Jahr landeten fast 20000 Kinder und Jugendliche volltrunken im Krankenhaus. Bereits ab 0,5 Promille Alkohol im Blut kann ein Jugendlicher bewusstlos werden. Das Radiofeature spielt in Hamburg und Niedersachsen, auf Partymeilen im Wald, in Notaufnahmen von Therapieeinrichtungen.

Der Autor Tom Schimmeck ist in Hamburg geboren, war Mitbegründer der „taz“ und ab 1984 freier Autor der „Frankfurter Rundschau“, des NDR und anderer Medien; Redakteur bei „Tempo“ und beim „Spiegel“. Er arbeitete in Johannesburg und war Auslandsreporter, seit 2002 unter anderem für „Die Zeit“, „Geo“ und die „Süddeutsche Zeitung“. 2008 erhielt er den Ernst-Schneider-Preis für sein Feature „Tonfänger. Das Mikrofon – eine deutsche Geschichte“.

Laudatio von Karin Beindorff (Deutschlandfunk) auf Tom Schimmeck, Preisträger 2009

Wir hatten unter neun Stücken zu wählen – und es ist nicht nur so dahingesagt, dass es uns dreien, Kai Schlüter, Peter Groth und mir, nicht leicht gefallen ist, uns für ein Stück zu entscheiden. Ich sage das an dieser Stelle auch deshalb, weil mir beim Hören all der eingereichten Features aufgefallen ist, wie viel Außergewöhnliches, Hörenswertes und Gutes in einer Zeit produziert wird, in der der grösser werdenden Feature-Gemeinde, den Machern und Hörern, ein weiterer Aderlass droht. Im Sommer werden sich die Kulturprogramme der ARD zwei Monate lang zu einem gemeinsamen Abendprogramm zusammenschließen, das viele Featureplätze kosten wird und außerdem ist nach dem Vorbild des Radio-Tatorts ein Gemeinschaftsfeature im Gespräch, das Einer produziert und die Anderen übernehmen sollen. Auch das, kommt es tatsächlich durch, wird viele, viele Featureplätze kosten. Geradezu widersinnig angesichts dessen, was diese Radio-Form zu leisten imstande ist.

Warum haben wir uns nach intensivem Hören und längerer Diskussion am Ende für die Koma-Kicks – Erkundungen über junge Kampftrinker von Tom Schimmeck in der Redaktion von Ulrike Toma vom NDR und der Regie von Nikolai von Koslowski entschieden? Das hat mehrere Gründe. Einer davon: Weil das Stück ein sehr aktuelles Thema auf eine Weise aufgreift, die sich von den vielen Skandalberichten über saufende Jugendliche unterscheidet, die sensationsheischend mit geheuchelter Empörung daherkommen.

Der Autor von Koma-Kicks dagegen hat hingehört, ohne zu richten. Er hat die jungen Leute auf bemerkenswerte Weise zum sprechen gebracht, lässt die Hörer dank einer sehr geschickten Montage akustisch immer dabei sein. Eine sehr junge Sprecherin führt durch das Feature und erklärt, wo es nötig ist, ohne zu belehren. Man beginnt zu verstehen, was das Unglück dieser jungen Leute ausmacht und wie schwer es sein muss, aus dieser Alkohol-Falle wieder herauszukommen. Partymachen, Spaß haben, cool sein sind die Stichworte, der Weg in die Selbstzerstörung, gepflastert mit Langeweile, Angst vor der Zukunft und Mangel an Selbstachtung ist offenbar nicht lang. Beim Zuhören ist man mittendrin in diesem Elend.

Es ist eine Geschichte geworden, die einem nur das Radio so eindrücklich vermitteln kann. Sie werden es ja gleich selbst hören können. Ich kenne Tom Schimmeck schon eine ganze Weile, wir haben uns Anfang der 90er Jahre zum ersten Mal, ganz fern von hier, in Ostafrika, in Eritrea zufällig getroffen, wo wir beide Teil einer kleinen Pressedelegation waren. Viele Jahre später hat er mich dann mal angerufen und mir einen Featurevorschlag gemacht. Ich kannte ihn ja vorallem aus ‚Der Woche’ und anderen Printmedien als schreibenden Journalisten, als Reporter und dachte bei diesem Anruf: Oh Gott, wieder einer, der den Unterschied zwischen Mono und Stereo nicht kennt, der nicht aufnehmen kann, der glaubt, wenn man schreiben kann, kann man auch Radio machen. Nach einigen Jahren und einigen Schimmeck- Features nicht nur für unser Programm muss ich bekennen, dass ich mir heute kaum selbst ein Mikrophon oder einen Flashrecorder anschaffen würde, ohne Tom vorher nach seiner Empfehlung zu fragen, denn er weiß längst mehr darüber und besser damit umzugehen als viele alte Rundfunkhasen. Ich leiste hier also öffentlich Abbitte für meine damaligen Vorurteile und überreiche den ‚Rüdi hört’ mit den großen Ohren, den Bremer Hörkino Preis 2009, an Tom Schimmeck.